Prosa

Ein kleiner Vorgeschmack auf ein neues Schreib-Projekt:





Macht des Feuers


Eine karge Landschaft. Umgeben von hohen, undurchdringlich scheinenden Bergen lag dieses Tal. Ein Hochplateau. Der Weg hindurch war beschwerlich. Die Füße stießen an Steine und Felsbrocken und knickten ständig weg. Das spärlich wachsende Gras und die stachligen, niedrigen Büsche hinterließen Kratzer an den Beinen. Ein schmaler Bach wand sich über die Ebene – an seinem Ufer war der Weg etwas weniger beschwerlich. Meine Füße steckten in braunen Sandalen, deren Sohlen so dünn waren, daß ich genau so gut wohl auch hätte barfuß laufen können. Ein seltsam fahles Licht lag über diesem Landstrich, die letzten Strahlen der untergehenden Sonne brachen sich an der höchsten Bergspitze. Dennoch wurde es nicht wirklich dunkel.
Ich lief auf eine große Felswand zu, deshalb hörte ich das laute Praßeln von brennenden Holzscheiten und spürte die große Hitze, bevor ich das Feuer sah. Es war so riesig, wie ich noch nie eines gesehen hatte. Und obwohl die Flammen so immens hoch schlugen, strahlte es eine besondere Ruhe und Ordnung aus. Rund um den Feuerplatz war ein Kreis aus Steinen geschichtet. Und darauf saßen unzählige Frauen, den Blick in die Glut gerichtet.

Alle waren sie gekommen und wärmten sich auf nach der beschwerlichen, weiten Reise. Die meisten trugen Umhänge und Decken um ihre Schultern.
Keine der Frauen auf dem Platz sprach – und doch verständigten sich alle untereinander. Manche begrüßten sich herzlich, denn sie kannten sich schon seit einer Zeit vor der Zeit. Einige waren neu und fühlten sich noch fremd hier. Auch ich war das erste Mal am Feuer. Bei meinem Aufbruch am Morgen hatte ich nicht geahnt, wohin mein Weg mich führen würde. Ich war einem Sog gefolgt, der so stark war, daß ich ihm nicht hatte widerstehen können. Und auf der gesamten Strecke war ich von einer großen Sehnsucht erfüllt gewesen, einer Freude, die mich jede Anstrengung vergeßen ließ. Von meinen schmerzenden Füßen einmal abgesehen. Der Sog vom Morgen verwandelte sich hier in einen Strudel, der mich mit aller Macht in diesen Kreis hinein zog. Es erfüllte mich mit einer Wärme, die nicht vom Feuer zu kommen schien. Und in mir breitete sich ein noch unbekanntes Gefühl aus, eine fremde Empfindung, ja, eine Form von Würde, wie ich sie bisher noch nicht kannte.
Als sich der Kreis schloß, war die Energie so stark, daß die Flammen noch höher aufloderten. Es war, als wollten sich der Himmel und die Erde mit Hilfe des Feuers verbinden.
Und da saßen die Frauen - und sandten ihre Gaben in die Welt derer, die nicht wissen. Und ich war mitten unter ihnen. Ein großer Frieden breitete sich aus – in mir und überall um mich herum. Mir war, als sei ich angekommen. Als öffne sich nach einer langen Reise durch die Dunkelheit plötzlich das Tor zum Licht. Hitzeblitze durchzuckten mich. Mein Herz wurde schwer, schmerzte so sehr, daß ich glaubte, es würde mir aus dem Körper gerißen. Und doch schwebte ich. Ganz leicht zog es mich in den Energiekreis, daß ich glaubte, wie eine Feder durch den Geist all dieser Frauen zu fliegen. Von überall her drang ein Leuchten in mich ein und viele Farben, Töne, Wörter, Gefühle füllten meinen Geist vollkommen aus.
Und es war richtig. Alles war gut. Ich war zu Hause.

Meine Seele flog hinweg. Sie überquerte den Norden. Flog über die schottische Küste hinaus. Querte die Orkneys. Yesnaby. Skara Brue. Und sie ließ sich in dem Steinkreis nieder. Empfing die Botschaften der alten Götter des Nordens. „Wir sagen dir die Nachricht aus dem Geschlecht der Steine. Von den Alten kommt die Kunde, daß der HERR über den Norden das Feuer auf die Erde bringen wird. Vernichten wird es alle, die nicht glauben. Verflucht sein sollen die, die nicht glauben. Die nicht belehrbar sind. Alles wird DER zerstören, DER die Allmacht hat. Nur die verschont ER, die an IHN glauben und an SEINE Macht. Eines Tages werden sie wieder kommen und SEIN Heil verkünden. SEINE Botschaft, die den Menschen den Frieden bringt. Den so lange ersehnten Frieden. Geht in die Welt und verkündet diesen Frieden. Geht und seht. GEHT UND SEHT. Und laßt andere sehen.“

So komme ich zurück in den Kreis der Frauen. Sehe so viele, die das Wissen haben. Und ich habe sie nicht erkannt. Nicht vorher. Nicht früher. Doch nun sind sie da, alle sind sie da. Und ich komme an in ihrem Kreis und wir verstehen. In Zukunft werden wir uns ansehen und wissen, wo wir bisher verwirrt waren. Nun werden wir wissen. Und uns erkennen. Wir Schwestern des Friedens.

Als ich im Halbschlaf meine Arme ausstrecken will, durchzuckt mich ein heftiger Schmerz. Einen Moment brauche ich, um mich zu orientieren. Dann weiß ich wieder, wo ich bin. Die Kälte läßt mich nach meinem Umhang greifen, der neben mir zwischen die Steine gerutscht ist. ächzend setze ich mich auf. Mein Blick fällt auf einen riesigen Aschekreis. Es riecht nach verbranntem Holz. Die Sonne steht schon recht hoch am Himmel, dennoch ist es kalt hier im Tal. Ich bin allein. In der Ferne, auf dem Weg bei dem Bach, sehe ich einige Gestalten in Richtung der Berge gehen. Offenbar habe ich das alles doch nicht geträumt.


© Andrea Niehr c/o www.ecribani.de